Die Maske des Narren
von Heiko Bierhoff
„Erzähle mir ein Märchen!“ Die kleine Seiltänzerin sah ihn bittend an und versuchte, seinen müden Blick einzufangen. Sie waren allein. Das Lagerfeuer war heruntergebrannt. Sein Schein warf letzte Schatten auf das Gesicht des alten Mannes und spielte mit den Falten und Spuren eines harten Lebens. Die verblassenden Flammenzungen unterstrichen die hereinbrechende Dunkelheit.
„Ein Märchen?“ Der alte Mann ließ sein kerbenreiches Schnitzmesser sinken und schaute gedankenverloren in die sterbende Glut, die sich mit rauem Knistern der Kälte erwehrte. „Du kennst sie fast alle besser als ich“, sagte er nach einer Weile, „und bald ist es an dir, mir meine Märchen zu erzählen, denn ich werde sie allmählich vergessen.“
Die kleine Seiltänzerin wickelte sich tiefer in den zerschlissenen Mantel ein, den er ihr um die Schultern gelegt hatte, rückte näher an den alten Mann heran und versuchte, in seinen Augen zu lesen. „Es ist wahr: Ich kenne deine Drachen und Sprüche, Steine und Flüche, deine Helden und Zwerge, Welten und Berge. Ich kenne deine Prinzen und Feen, Burgen und Seen, aber eines kenne ich noch nicht.“ Sie streckte vorsichtig ihren zarten Arm aus und berührte leicht sein weißes Haar. „Bitte, erzähl mir das Märchen deines Lebens, denn ich fühle, dass mir dieses eine – dein Märchen – noch fehlt.“
Der alte Mann senkte seinen müden Blick auf den Rohling, an dem er gerade arbeitete, und versuchte, in der Maserung des Holzes die Gesichtszüge zu finden, die er in seinem Herzen trug. „Mein letztes Märchen“, sprach er leise und folgte mit zitternden Fingern den unfertigen Linien der werdenden Maske. „Nun gut. Es ist wohl das einzige, was ich dir noch geben kann, bevor das Feuer erlischt – ein Märchen…
Es war einmal ein junger Narr, der zog zusammen mit einer Schar Gaukler von Ort zu Ort. Ein alter Ackergaul zog ihren geflickten Planwagen zu den Dörfern, in denen sie sich mit ihren Künsten ein karges Brot erwarben. Abends saß der junge Narr stets mit der alten Wahrsagerin, dem dicken Schwertschlucker, dem glatzköpfigen Schlangenmenschen und der kleinen Seiltänzerin – die er sehr lieb hatte – am Feuer, besserte seine Maske aus, verfeinerte sie und hörte den Geschichten der Gaukler zu.
Es war ein herrliches Leben im Sommer, wenn sie an goldenen Feldern vorbeizogen und die Leute in den Dörfern genug zu essen hatten, um es mit dem fahrenden Volk zu teilen. Unter dem strahlenden Sternennetz der Mittsommernacht fror man nicht, und die Grillen spielten in der Nacht auf.
Es war ein hartes Leben im Winter, wenn der Schnee ihnen das Weiterziehen verbot, die Bauern von ihren wenigen Vorräten nichts entbehren konnten und die Kälte zu ihnen unter die Decken kroch.
Doch es war nicht etwa der Winter, der den junge Narren unzufrieden werden ließ. Er teilte gern sein weniges Brot mit den anderen und deckte selbst noch in der eisigsten Nacht die kleine Seiltänzerin mit seinem eigenen Mantel zu. Er war es, der in der Kälte von Hof zu Hof durch den Schnee stapfte, um Feuerholz zu erbetteln oder seine geschnitzten Spielzeuge gegen Brot zu tauschen. Aber er hielt sich für einen ganz besonderen Narren und glaubte, dass seine Späße besonders gut seien. Deshalb – und da er das ewige Umherziehen leid war – träumte er vom Theater bei Hofe, von einer großen Karriere als Schauspieler und von einem Publikum, das ihn liebte und nicht sofort wieder vergaß, wenn er am nächsten Morgen mit den Gauklern weiterzog.
Diese Gedanken quälten den jungen Narren, als er eines Nachts als letzter am Lagerfeuer wachte und das Lachen seiner Maske nachzog. Die vertrauten Geräusche der schlafenden Gaukler aus dem Planwagen vermischten sich mit den Stimmen der Nacht und hinterließen in ihm ein schmerzhaftes Gefühl der Einsamkeit.
Da trat aus den fahlen Schatten des Mondlichts lautlos eine verhüllte Gestalt und sprach zu ihm: „Fürchte dich nicht, junger Narr. Ich kenne deine Wünsche und Hoffnungen und kann dir helfen, sie zu erfüllen, ja, sie sogar noch zu übertreffen.“
Obwohl die Gestalt nahe am Feuer stand, war es dem jungen Narren unmöglich, die Umrisse dieser so unwirklich anmutenden Erscheinung in den schweren Falten des schwarzen Mantels auszumachen, geschweige denn ein Gesicht zu erkennen. „Wie kannst du von meinen Träumen wissen?“ fragte er.
Die dunkle Gestalt trat einen Schritt näher an das flackernde Feuer, ohne jedoch deshalb besser erkennbar zu werden. „Sieh selbst, wie traurig das Lächeln deiner Maske geworden ist und wie unsauber ihre Augen nachgezogen sind! Es gab Tage, da hast du liebevoller daran gearbeitet, und deine Späße waren noch voller Leben.“
Nachdenklich besah sich der junge Narr seine Maske und erkannte, dass der Fremde die Wahrheit sagte. „Du hast recht“, stimmte er zu und suchte in den Schatten nach einem Augenpaar, „einst habe ich es geliebt, diese Narrenmaske zu tragen. Nun aber bin ich sie leid und will neue, große Rollen spielen.“
„So sei es! Ich biete dir tausend Masken und die Gabe, sie zu tragen, wenn du mir nur diese eine – deine Maske – überlässt.“
Der junge Narr starrte auf seine alte Maske, während er für einen kurzen Augenblick tausend wundervolle Masken und neue Rollen vor sich sah. „Wenn du mir wirklich all dies bieten kannst und nur diese eine Maske von mir dafür willst, so willige ich gerne ein!“ Er erhob sich und reichte der verhüllten Gestalt seine Narrenmaske über das niedergebrannte Feuer hinweg. In diesem Moment flammte eine rote Lohe aus der Glut empor, leckte an den Händen und an der Maske des jungen Narren und war im nächsten Augenblick schon wieder erloschen.
Die unheimliche Gestalt war verschwunden, und in der Kälte einer sternklaren Nacht stand einsam ein junger Mann mit leeren Händen.
Am nächsten Morgen zogen die Gaukler weiter. Der Schnee war geschmolzen, und der alte Gaul zog mühsam den schweren Wagen über die schlammigen Pfade der nächsten Stadt entgegen. Hinten auf dem Wagen saß ein junger Mann, der seine Beine hinunterbaumeln ließ und auf die vorbeiziehende Öde einer braunen Januarlandschaft schaute. Mit seinen Gedanken war er noch immer bei dem düsteren Traum der vergangenen Nacht. Und mit seinen flinken Händen schnitze er geistesabwesend an einer neuen Maske, weil er seine alte an diesem Morgen nicht wiedergefunden hatte. Ohne sie fühlte sich der junge Narr nicht mehr als Narr, und es wunderte ihn, dass dieser Verlust ihm nichts auszumachen schien. Sein Herz war an diesem Morgen erfüllt von einem Sehnen nach Ruhm und Ehre, das er noch nie zuvor so stark gefühlt hatte.
Als er so auf seine unablässig arbeitenden Hände sah, bemerkte er zu seinem Erstaunen, dass aus dem Holz nicht die altgewohnten Züge eines Narren hervortraten, sondern die harten Gesichtszüge und tiefen Falten eines mürrisch dreinblickenden Greises.
Der junge Mann war nicht in der Lage, seinen Händen Einhalt zu gebieten. Gebannt verfolgte er, wie sein Schnitzmesser blinkend am Holz auf und ab fuhr und dabei eine eindrucksvolle Arbeit entstand, wie er sie nie davor gesehen hatte. Diese Greisenmaske übte auf den jungen Mann eine solche Anziehungskraft aus, dass er der Versuchung nicht widerstehen konnte, sie sofort aufzusetzen. Kaum hatte er das aber getan, da krümmte sich sein Rücken, seine Haut alterte, und seine schlanken Finger wurden knotig. Die Maske schmiegte sich an sein Gesicht wie eine zweite Haut. Als er sein Spiegelbild in einer Pfütze sah, erschrak er beim Anblick seines schlohweißen Haares und stieß einen heiseren Schrei aus, der kaum noch an seine eigene Stimme erinnerte.
Schnell riss er sich die Maske von Gesicht und spürte erleichtert, wie seine Haut wieder straff wurde und sein Rücken sich wieder aufrichtete. Der junge Mann besah seine Hände, die ihre Kraft und Schönheit zurückgewonnen hatten, und riss eines der Haare aus, um sich ihrer Farbe zu vergewissern. Die Maske aber wirkte auf einmal leblos und starrte mit leeren Augenhöhlen in den fahlen Himmel.
Ungläubig setzte sich der junge Mann die Greisenmaske ein zweites Mal auf und erlebte die befremdliche Verwandlung erneut. Und sooft er nun diese Maske trug, verwandelte er sich in einen altersschwachen Greis, und jedes Mal, wenn er sie abnahm, fühlte er sich wieder jung und stark. Da wusste der junge Mann, dass er letzte Nacht nicht geträumt hatte, und er spielte in Gedanken die Möglichkeiten durch, welche ihm diese wundersame Maske eröffnete. Rasch packte er seine wenigen Habseligkeiten zusammen und ließ sich lautlos vom Wagen gleiten. Die anderen Gaukler hatten nichts von alledem bemerkt.
Der junge Mann sah dem schwankenden Gefährt noch hinterher, bis es hinter einer Wegbiegung entschwand. In Gedanken an die kleine Seiltänzerin – die er sehr lieb hatte – flüsterte er ein Lebewohl in den grauen Tag, wandte sich um und ging seiner Wege.
So wanderte der junge Mann der Hauptstadt des Fürstentums entgegen. Er hatte gehört, dass es dort ein wunderschönes und großes Theater geben soll, an dem die besten und berühmtesten Schauspieler sogar vor dem Fürsten selbst auftreten. Unterwegs setzte er oft seine neue Maske auf, verwandelte sich dadurch in einen schwachen Greis und erbettelte auf diese Weise sein täglich Brot und ein Bett für die Nacht. Niemand erkannte in dem alten Bettelmann einen Maskenträger – er wirkte so mitleiderregend, dass keiner ihm eine milde Gabe versagen mochte.
Schließlich erreichte der junge Mann das Hoftheater, dessen prunkvolle Säulen und mit Figuren geschmückte Giebel ihn in Erstaunen versetzten und dessen glänzende Marmortreppen er kaum zu betreten wagte.
Der Theaterdirektor, der vornehm eine gepuderte Perücke trug, lachte nur über den jungen Mann, der es wagte, sich trotz seines so glatten und ausdruckslosen Gesichts bei ihm als Schauspieler zu bewerben. Doch immerhin erklärte er sich wenigstens damit einverstanden, dass der junge Mann einmal vorspielen dürfte. In seiner Überheblichkeit erwartete er allerdings, dass sich dieser Grünschnabel sowieso nur lächerlich machen würde.
Der junge Mann zog sich in eine kleine Garderobe zurück, setzte seine Zaubermaske auf und betrat damit die Bühne. Der Direktor des Hoftheaters saß mit seinem Ensemble in der Loge und erwartete, sich über den jungen Mann lustig machen, ihn verhöhnen und davonjagen zu können. Doch als dieser in Gestalt des verbitterten Greises auf der Bühne stand und ihnen das Leid eines vergeudeten Lebens klagte, erkannten sie ihn nicht, bis er schließlich seine Maske absetzte.
Alle Anwesenden applaudierten, und der verblüffte Direktor beglückwünschte ihn mit den Worten: „Du weißt deine Rolle vortrefflich zu spielen! Doch sage mir, welche Rollen du noch beherrschst.“
„Jede“, antwortete der junge Schauspieler, „jede Rolle, die ihr euch nur denken könnt!“
„Nun, dann will ich dich auf die Probe stellen: Heute Abend führen wir für den Fürsten ein Lustspiel auf, und einer der Darsteller, er spielt einen Tölpel, ist plötzlich erkrankt. Spielst du seine Rolle heute gut, werde ich sehen, ob ich Verwendung für dich habe.“
Der junge Schauspieler willigte freudig ein und begab sich sofort in die Garderobe, um eine neue Maske zu schnitzen. Und wie von Zauberhand schuf sein Messer die Gesichtszüge eines dümmlichen Bauern.
Mit dieser Maske spielte er am Abend die ihm aufgetragene Rolle so meisterhaft und bewegte sich so grotesk, dass der ganze Saal seine Auftritte stürmisch beklatschte und über jede seiner Zoten so schallend lachte wie noch nie zuvor. Nach dem Schlussakt wurde der junge Schauspieler umjubelt und gefeiert. Der Fürst ließ ihn sogar in seine Loge bitten, um ihn persönlich zu beglückwünschen.
Von diesem Tag an spielte der junge Künstler bei Hofe, und schon bald wurde kein Theaterstück mehr aufgeführt, in dem er nicht die Hauptrolle übernahm. Jeder seiner Auftritte wurde noch mehr gefeiert als die vorangegangenen. Abends zog sich der mittlerweile berühmt gewordene Schauspieler mit seinem alten Messer, das nun schon einige Kerben aufwies, stets in seine prachtvoll ausgestattete Garderobe zurück. Dort schnitzten seine eifrigen Hände – nicht mehr seinem Willen gehorchend, sobald sie ein Stück Holz und das Messer fühlten – die herrlichsten Masken. Und mit jeder neuen Maske übertraf er sich selbst, jede erwachte, von ihm getragen, zu einem wundersamen Eigenleben und verlieh ihm eine andere Gestalt.
Viele Neider versuchten. das Geheimnis des großen Schauspielers zu lüften, aber keiner kam jemals dahinter, da die Masken leblos und starr waren, wurden sie nicht von ihm selbst getragen.
Schon bald war der gefeierte Schauspieler derartig beliebt, dass er sogar zur alleinigen Erbauung des Fürstenpaares gerufen wurde. Mittlerweile verkehrte er in den vornehmsten Kreisen und wurde schließlich ein intimer Vertrauter des Fürsten. Er genoss sein Leben, seinen Erfolg und seinen Ruhm in vollen Zügen.
Dann aber geschah es, dass er sich in die jüngste Tochter des Fürsten verliebte, die ihn in ihrer Anmut an die kleine Seiltänzerin erinnerte. Er stand höher denn je in der Gunst des Fürsten und war sogar geadelt worden – eine Ehre, die bisher noch keinem Künstler zuteil geworden war. Deshalb nahm auch niemand daran Anstoß, dass dieser junge Edelmann, großartige Schauspieler und freundschaftliche Berater des Fürsten der Prinzessin den Hof machte. Auch der Fürst hätte dem stattlichen und tausendgesichtigen Mann gerne seine Tochter zur Frau gegeben, allein die schöne Prinzessin zeigte nicht das geringste Interesse an ihm. Sie lebte immer noch in ihrer behüteten Kinderwelt und ließ sich den ganzen Tag von Puppenspielern unterhalten.
Auch wenn sich der junge Edelmann noch so sehr um die Gunst der Prinzessin bemühte, sie schenkte seinen Aufmerksamkeiten keine Beachtung. „Im Grunde“, sagte sie eines Tages im Schlossgarten zu ihm, „trägst du immer nur Masken. Ich fühle, dass sie falsch sind, und ich habe Angst vor ihnen!“
Darüber war der junge Edelmann sehr betrübt, und er wandte sich hilfesuchend an den Fürsten. Dieser war über die Haltung seiner Tochter erzürnt, hatte er doch Angst, dass sein bester Berater den Hof verlassen könnte, wenn die Prinzessin ihn nicht erhörte. Also stellte er seine Tochter vor die Wahl, entweder den jungen Edelmann zu heiraten oder aber den Rest ihres Lebens in einem Kloster zu verbringen.
Die Prinzessin wollte weder das eine noch das andere, weinte bitterlich und flehte ihren Vater an, seine Meinung doch zu ändern. Und da der Fürst seine Tochter über alle Maßen liebte, aber auch seinen treuen Berater nicht verlieren wollte, erlaubte er ihr, den jungen Edelmann auf die Probe zu stellen: Gelänge es ihm nicht, ihren Anforderungen an sein schauspielerisches Können gerecht zu werden, so dürfe sie ihren Bräutigam frei wählen. Über diesen Vorschlag war der junge Edelmann sehr glücklich, vertraute er doch auf seine wundersame Fähigkeit, und fühlte sich bereits als Sieger.
Die Prinzessin dankte ihrem Vater und stellte den jungen Edelmann zuversichtlich schon am nächsten Tag vor dem gesamten Hofstaat auf die Probe. Ihre Naivität und Unerfahrenheit verliehen ihr aber eine besondere Weisheit, wie sie nur Kindern eigen ist, und so deutete sie auf den Narren in ihrem Puppenspiel und sprach: „Wenn du mir als Narr ebensoviel Freude bereiten kannst wie meine Lieblingspuppe, werde ich dich gerne heiraten. Da nur ein Narr in dieser Welt ungestraft die Wahrheit sagen darf, wirst du diese Rolle niemals spielen können! Denn du, du großer Schauspieler, sonnst dich in deinem Ruhm, aber du verbirgst deine ureigene Wahrheit hinter Masken. Wie soll ich dich lieben, wenn ich dich hinter deinen tausend Masken gar nicht finden, geschweige denn erkennen kann?“
„Was? Nur einen Narren?“ lachte der Fürst. „Mein Kind, diese Aufgabe ist für unseren großen Künstler doch zu leicht!“
Dem jungen Edelmann dagegen wurde schwindelig, und ein Raunen ging durch den Saal, als er sich haltsuchend auf einen Stuhl stützte. Er wunderte sich selbst über seine Bestürzung, war er doch der wohl beste Schauspieler aller Zeiten und früher selbst jahrelang als Narr durch die Lande gezogen. Also bat er darum, sich auf die geforderte Rolle vorbereiten zu dürfen, und zog sich in seine Gemächer zurück. Dort nahm er einen Holzblock und sein altes Schnitzmesser zur Hand und begann, auf seine wundersame Fähigkeit vertrauend, an einer Narrenmaske zu arbeiten.
Aber dieses Mal schuf sein Messer kein neues Wunderwerk, und auch aus eigenen Kräften wollten ihm die Gesichtszüge eines Narren nicht gelingen. Dann splitterte auch noch der Holzblock unter seinen vor Aufregung zitternden Händen, sein Messer glitt ab und schnitt ihm tief in die Hand.
Doch der junge Edelmann wollte sich sein Missgeschick nicht eingestehen. Er nahm einen neuen Rohling und versuchte es noch einmal. Sein Blut tränkte das Holz, und das Schnitzen bereitete ihm große Schmerzen. Wieder misslang die Maske, erneut rutschte das Messer ab und fuhr ihm diesmal tief in den Arm.
Zornig warf er sein Messer auf den Boden und griff zu den Schminktöpfen und Puderdosen, um sich eine Maske auf das Gesicht zu malen. Doch nicht einmal die Farben wollten seinen Händen gehorchen und verliefen in seinem glatten Gesicht, das nicht um einen einzigen Tag gealtert zu sein schien, seit er am Hofe war.
Da brach der junge Edelmann weinend vor dem goldgerahmten Spiegel zusammen, aus dem ihn sein eigenes Gesicht anstarrte, als sei es selbst nur eine ausdruckslose und ewig jugendliche Maske. Voller Entsetzen erkannte er die Wahrheit: Er hatte die Maske des Narren verloren und damit auch sich selbst. Was nützte ihm da die Bewunderung bei Hofe und die Wertschätzung des Fürsten? Die Liebe der Prinzessin würde er niemals erringen, sie hatte als einzige hinter seine Masken geschaut und nichts gefunden.
Verzweifelt raffte er mit seinen blutenden Händen all die Masken, die seine verwunschenen Hände geschaffen hatten, und warf sie in das Kaminfeuer. Mit jeder Maske, die von den Flammen erfasst wurde, durchfuhr ihn ein brennender Schmerz, und sein Herz fühlte einen tiefen Stich. Als die letzte verbrannte, fühlte er sich auf einmal so leicht und voller Freude wie nie zuvor. Aber er war plötzlich um Jahre gealtert, und jede der Masken schien ihn die Züge ihres Charakters ins Gesicht geschnitten und Spuren am ganzen Körper hinterlassen zu haben.
Ein alter Mann stahl sich unerkannt aus dem Schloss. Gebeugt und mit weißem Haar zog er bettelnd durch die Lande, bis ihn eines Tages eine vorbeiziehende Schar Gaukler auflas und auf ihrem von einem alten Ackergaul gezogenen buntgeflickten Planwagen mitfahren ließ. Geblieben war ihm nur sein altes, kerbenreiches Schnitzmesser, das jetzt nur noch die Bilder in das Holz eingrub, die er in seinem Herzen trug …“
Die kleine Seiltänzerin – die er immer sehr liebgehabt hatte – deckte ihn mit seinem verschlissenen Mantel zu, wie er auch sie im Winter so oft zugedeckt hatte, und gab dem alten Mann einen letzten Gutenachtkuss. Dann nahm sie seine Narrenmaske an sich und flüsterte mit Tränen in den Augen hinauf zu einem samtenen Sternenhimmel: „Danke, mein lieber Narr, und schlaf gut.“