Ein Mensch

Gedichte von Eugen Roth

Nächtliches Erlebnis

Ein Mensch, der nachts schon ziemlich spät
an ein verworfnes Weib gerät,
das schmelzend Bubi zu ihm sagt
und ihn mit wilden Wünschen plagt,
fühlt zwar als Mann sich süß belästigt,
jedoch im Grund bleibt er gefestigt
und lässt, bedenkend die Gebühren,
zur Ungebühr sich nicht verführen.
Doch zugleich sparsam und voll Feuer
bucht er das dann als Abenteuer.

Trauriger Fall

Ein Mensch, der manches liebe Jahr
mit seinem Weib zufrieden war,
dann aber plötzlich Blut geleckt hat,
denkt sich: „Varietas delectat -„
und schürt sein letztes, schwaches Feuer
zu einem wilden Abenteuer.
Jedoch bemerkt er mit Erbosen,
dass seine alten Unterhosen
ausschließlich ehelichen Augen
zur Ansicht, vielmehr Nachsicht, taugen
und dass gewiss auch seine Hemden
ein fremdes Weib noch mehr befremden,
dass, kurz, in Hose, Hemd und Socken
er Welt und Halbwelt nicht kann locken.
Der Mensch, der innerlich noch fesche,
nimmt drum, mit Rücksicht auf die Wäsche,
endgültig Abschied von der Jugend
und macht aus Not sich eine Tugend.

Vorsicht!

Ein Mensch wähnt, in der fremden Stadt,
wo er Bekannte gar nicht hat,
in einem Viertel, weltverloren,
dürft ungestraft er Nase bohren,
weil hier, so denkt er voller List,
er ja nicht der ist, der er ist.
Zwar er entsinnt sich noch entfernt
des Spruchs, den er als Kind gelernt:
„Ein Auge ist, das alles sieht,
auch was in finstrer Nacht geschieht!“
Doch hält er dies für eine Phrase
und bohrt trotzdem in der Nase.
Da ruft’s – er möcht versinken schier –
„Herr Doktor, was tun Sie denn hier?“
Der Mensch muss, obendrein als Schwein,
der, der er ist, nun wirklich sein.
Moral: Zum Auge Gottes kann
auf Erden werden jedermann.

Das Ferngespräch

Ein Mensch spricht fern, geraume Zeit,
mit ausgesuchter Höflichkeit,
legt endlich dann, mit vielen süßen
Empfehlungen und besten Grüßen
den Hörer wieder auf die Gabel –
doch tut er nochmal auf den Schnabel
(nach all dem freundlichen Gestammel),
um dumpf zu murmeln: Blöder Hammel!
Der drüben öffnet auch den Mund
zu der Bemerkung: Falscher Hund!
So einfach wird oft auf der Welt
die Wahrheit wieder hergestellt.

Allzu eifrig

Ein Mensch sagt – und ist stolz darauf –
er geh‘ in seinen Pflichten auf.
Bald aber, nicht mehr ganz so munter,
geht er in seinen Pflichten unter.

Für Moralisten

Ein Mensch hat eines Tags bedacht,
was er im Leben falsch gemacht,
und fleht, genarrt von Selbstvorwürfen,
gutmachen wieder es zu dürfen.
Die Fee, die zur Verfügung steht,
wenn sich’s, wie hier, um Märchen dreht,
erlaubt ihm denn auch augenblicks
die Richtigstellung des Geschicks.
Der Mensch besorgt dies äußerst gründlich,
merzt alles aus, was dumm und sündlich.
Doch spürt er, dass der saubern Seele
ihr innerlichstes Wesen fehle,
und scheußlich geht’s ihm auf die Nerven:
Er hat sich nichts mehr vorzuwerfen,
und niemals wird er wieder jung
im Schatten der Erinnerung.
Dummheiten, fühlt er, gibt’s auf Erden
nur zu dem Zweck, gemacht zu werden.

Hilflosigkeiten

Ein Mensch, voll Drang, dass er sich schneuzt,
sieht diese Absicht schnöd durchkreuzt:
Er stellt es fest mit leisem Fluch,
dass er vergaß sein Taschentuch.
Indessen sind Naturgewalten,
wie Niesen, oft nicht aufzuhalten.
Und während nach dem Tuch er angelt,
ob es ihm wirklich völlig mangelt,
beschließt die Nase, reizgepeinigt,
brutal, dass sie sich selber reinigt.
Der Mensch steht da mit leeren Händen…
Wir wollen uns beiseite wenden,
denn es gibt Dinge, welche peinlich
für jeden Menschen, so er reinlich.
Wir wollen keinen drum verachten,
jedoch erst wieder ihn betrachten,
wenn er sich (wie, muss man nicht wissen)
dem Allzumenschlichen entrissen.

Grenzfall

Ein Mensch war eigentlich ganz klug
und schließlich doch nur klug genug,
um einzusehen, schmerzlich klar,
wie blöd er doch im Grunde war.
Unselig zwischen beiden Welten,
wo Weisheit und wo Klugheit gelten,
ließ seine Klugheit er verkümmern
und zählt nun glücklich zu den Dümmern.

Seelische Gesundheit

Ein Mensch frisst viel in sich hinein:
Missachtung, Ärger, Liebespein.
Und jeder fragt mit stillem Graus:
Was kommt da wohl einmal heraus?
Doch sieh! Nur Güte und Erbauung.
Der Mensch hat prächtige Verdauung.

Immer falsch

Ein Mensch – seht ihn die Stadt durchhasten! –
sucht dringend einen Postbriefkasten.
Vor allem an den Straßenecken
vermeint er solche zu entdecken.
Jedoch, er bleibt ein Nicht-Entdecker
dafür trifft fast auf jedem Fleck er
Hydranten, Feuermelder an,
die just er jetzt nicht brauchen kann.
Der Mensch, acht Tage später rennt
noch viel geschwinder, denn es brennt!
Doch hält das Schicksal ihn zum besten:
An jedem Eck nur Postbriefkästen!

Verdorbener Abend

Ein Mensch gedenkt, daheim zu bleiben
und still an seinem Buch zu schreiben.
Da ruft ein Freund an, ausgeh-heiter,
und möchte ihn als Fest-Begleiter.
Der Mensch lehnt ab, er sei verhindert,
jedoch sein Fleiß ist schon gemindert.
Indes er wiederum nun sitzt,
ein graues Heer von Ratten flitzt
aus allen Winkel, Ritzen, Rillen,
um zu benagen seinen Willen.
Gleichzeitig äußert sich auch jetzt
der Floh, ihm jäh ins Ohr gesetzt,
dass er die herrlichsten Genüsse
durch seinen Trotz versäumen müsse.
Geheim vertauscht sich Zeit und Ort:
halb ist er hier, halb ist er dort,
und ist schon dort jetzt zu zwei Dritteln.
Er greift zu scharfen Gegenmitteln,
beschimpft sich, gibt sich selbst Befehle,
rast gegen seine schwache Seele-
umsonst; er schleppt zum Schluss den Rest,
der noch geblieben, auf das Fest.
Jedoch der Rest ist leider schal,
dem Menschen wird die Lust zur Qual.
Nach Hause geht er bald, bedrückt….
es scheint, der Abend ist missglückt.

Ein Mensch

Ein Mensch erblickt das Licht der Welt-
Doch oft hat sich herausgestellt
nach manchem trüb verbrachten Jahr,
dass dies der einzige Lichtblick war.